Existenz ist Beziehung – alles ist verbunden.

Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als abgetrennt von allem anderen — eine Art optische Täuschung des Bewusstseins. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, das uns auf unsere eigenen Vorlieben und auf die Zuneigung zu wenigen uns Nahestehenden beschränkt. Unser Ziel muss es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir den Horizont unseres Mitgefühls erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in all ihrer Schönheit umfasst.

Albert Einstein (1879–1955)

 

Im Angesicht der derzeitigen globalen Abschottungstendenzen, Konflikte, Klimaerwärmung und des Artensterben erscheint mir diese von Albert Einstein postulierte ganzheitliche Perspektive des Mitgefühls so notwendig wie nie zuvor.

Doch aktuell verstehen wir uns nicht als Teil der Natur, sondern als separaten Teil, der über der Natur steht. Diese Trennung führt zu einem Gefühl der Entfremdung von uns selbst, anderen und der Natur.

Die Seele der Natur fällt der Produktivität zum Opfer: In Massenbetrieben, in denen es um reinen Profit geht und darum zu immer günstigeren Preisen immer mehr „Output“ erreicht werden muss, ist kein Platz für Emotionalität, Geist oder Seele.

In gewisser Weise hat auch die Wissenschaft zu unserem aktuellen Umgang mit unserer Umwelt beigetragen: Durch das Analysieren und Zerteilen bis ins kleinste Partikel geht oft der Bezug für das Große und Ganze verloren. Vor allem aber wird der Natur im Gegensatz zu anderen Menschen keine Beseeltheit zugesprochen, sie wird verdinglicht. Dementsprechend respektlos wird die Natur behandelt.

Die dichotome Trennung von innen und aussen, von Geist und Natur ist ein Problem. Wie können wir diesen Dualismus aufheben und die Seele zurück in die Natur bringen und die Natur zurück in die Seele?

Ohne spirituelle Haltung, die alles Leben als wertvoll erachtet, scheint mir die Bewältigung der bevorstehenden ökologischen Herausforderungen fast unmöglich.

Um mehr darüber zu erfahren, wie wir mit unserer Umwelt und uns selbst anders in Beziehung treten können, machte ich mich daher in den letzten Monaten auf eine spirituelle Reise.

Ein Thema, das mir dabei unerwarteterweise immer wieder begegnete ist Selbstliebe — oder vielmehr mangelnde Selbstliebe. Damit meine ich nicht egozentrische Selbstbezogenheit, sondern Mitgefühl, Verständnis und Akzeptanz für uns selbst — etwas, womit sehr viele Menschen zu hadern scheinen. Selbstfürsorge ist in unserer Leistungsgesellschaft negativ konnotiert — wir gestehen uns folglich oft nicht zu, was wir jedem anderen Menschen zugestehen und sind uns selbst gegenüber unser bitterster Feind und Kritiker.

Doch erst wenn wir mit uns selbst im Reinen sind und uns so akzeptieren, wie wir in dem Moment sind, können wir unser Herz öffnen für unsere Umwelt, können wir die Vernetztheit von allem mit allem wirklich spüren.

In einem 10-tägigen Schweige-Meditations-Retreat in Mexiko konnte ich dies direkt erfahren: Nach einer mehrstündigen abendlichen Meditationssitzung trat ich aus dem Tempel und ging hinunter zum Meer. Das sanfte Licht des Mondes gab dem Himmel eine mystische Aura und spiegelte sich im Meer wieder. Die unmittelbare Schönheit der Wellen und deren glitzernde Schaumkronen berührte etwas in meinem tiefstem Innern und ließ mir Tränen in die Augen steigen. Die wilden Wellen schienen mich zum Spielen einzuladen. Alle Grenzen lösten sich auf, ich war eins mit den Wellen, dem Ozean, dem Himmel. Als ich langsam in den Ozean schritt, sah ich die Welt mit neuen Augen, sah die Verspieltheit des Universums, den seltsamen und schönen Zauber, der uns immer umgibt, den ich aber so selten wahrnehme.

Mein Herz war erfüllt von Liebe und Leichtigkeit und Magie. Obwohl ich von dem Konzept des Einheitserleben (Oneness) oft gehört hatte, war ich niemals in der Lage, es wirklich zu verstehen, bis ich es selbst erlebt habe.

Alles war auf einmal vollkommen klar. Ich hatte Mitgefühl für meine selbstzerstörerischen Tendenzen, verstand, dass ich es in der Vergangenheit nicht besser wusste, meine Sinne vernebelt waren und ich daher nicht klar sehen konnte. Gleichzeitig verspürte ich Mitgefühl und Liebe für alles und jeden auf der Welt und erkannte, dass nicht Boshaftigkeit, sondern eine verzerrte Sichtweise und Ignoranz Menschen dazu bringt, ihre Um- und Mitwelt zu verletzen.

Was hat dies mit unserer ökologischen Krise zu tun? Für mich alles! Nach diesem spirituellen Erlebnis nahm ich meine gesamte Umwelt anders wahr und behandelte sie dementsprechend mit mehr Verständnis und Respekt. Die offensichtlichste Arbeit liegt jedoch noch vor mir: Mich nicht aus Angst vor dem Unbekannten wieder in der wohlvertrauten Dunkelheit einzuschließen. Mich an dieses Gefühl der Einheit zu erinnern, es zu kultivieren und von diesem Ort des geöffneten Herzens aus zu handeln.

Eine Methode, die mir hilft dieses Gefühl des offenen Herzens zu kultivieren, ist die aus der buddhistischen Tradition stammende Metta Meditation (Loving Kindness Meditation). Hierbei wird zunächst eine geliebte Person visualisiert, der man Zufriedenheit, Gesundheit und Mitgefühl wünscht. Diese Prozedur wird mit einer neutralen Person, einer Person, der man negative Gefühle entgegenbringt und auch sich selbst gegenüber wiederholt. Im Weiteren werden die positiven Wünsche und Gefühle auf alle Personen, alle Lebewesen und das ganze Universum ausgeweitet, ganz im Sinne Albert Einsteins.

In meiner Masterarbeit konnte ich herausfinden, dass diese Praxis nicht nur zur Steigerung des subjektiven und affektiven Wohlbefindens, sondern auch zu einer umweltfreundlicheren Grundhaltung führt — ein Wandel von anthroprozentrischer zu ökozentrischer Werteeinstellung.

Ein Gespür dafür zu entwickeln, wie alle Phänomene sich gegenseitig spiegeln, ineinander greifen und nur im Kontakt miteinander entstehen, löst unser gewohntes dualistisches, im Kopf isoliertes Gefühl für die Welt radikal auf.

Existenz ist Beziehung — alles ist miteinander verbunden. Und über meine Mitgefühls-Erfahrungen kann ich erahnen, was Einstein mit der „Befreiung aus der optischen Täuschung des Bewusstseins“ gemeint hat.

Kommentar: Originalveröffentlichung in der Zeitschrift für Psychosynthese des nawo-Verlages.