Das seltsame Paradoxon ist, dass, wenn ich mich so akzeptiere wie ich bin, dann kann ich mich ändern.
Carl R. Rogers
Wenn alles in unserem Leben läuft wie wir wollen, fällt es uns leicht Dinge positiv zu sehen. Alles scheint wie von alleine zu laufen und geht uns leicht von der Hand. Wir haben mehr Kapazität uns um andere und uns selbst zu kümmern.
Doch wenn wir mit schwierigen Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut konfrontiert werden, erscheint uns die Welt oft düster und feindselig. Instinktiv gehen wir in den Widerstand und versuchen diese Emotionen möglichst schnell wieder loswerden – doch diese Abwehrhaltung befeuert die Emotionen oft erst.
Wie gehst du damit um, wenn du wieder einmal von Angst oder Trauer gepackt wirst? Was tun, wenn du einen Streit hattest und nicht so reagiert hast, wie du es gerne hättest? Wenn du in alte Verhaltensweisen, Muster, Sucht- oder Zwangsverhalten zurückgefallen bist? Wenn du dich dafür selbst verurteilst, Gefühle der Wertlosigkeit oder Schuld und Scham empfindest?
Wenn wir mitten in Schwierigkeiten stecken, wenn wir in emotionaler Reaktivität gefangen sind, sind unsere evolutionär betrachtet am ältesten Gehirnbereiche aktiv – das Reptiliengehirn, das limbische Gehirn – wir befinden uns im Kampf, Flucht oder Erstarrungsmodus.
Hier bietet die Achtsamkeitspraxis WENN (englisch: RAIN) eine Strategie, um den Weg zurück in die Präsenz zu finden. Diese leitet uns dazu an nachzuforschen, welche Informationen unsere Emotionen tragen und wie wir durch Achtsamkeit und Mitgefühl konstruktiv damit umgehen können. Durch RAIN können wir systematisch den jüngsten Teils unseres Gehirns, den präfrontalen Kortex, aktivieren und so die bewusste Kontrolle über unsere Handlungen wiedererlangen.
Der Begriff RAIN wurde zuerst von der Meditationslehrerin Michele McDonald geprägt. Seit über zwei Jahrzehnten wird er von Lehrern verwendet und hat sich inzwischen weiterentwickelt. Popular wurde die Technik vor allem auch im Zusammenhang mit der Trance des geringen Selbstwertgefühls durch eine der bekanntesten westlichen Meditationslehrerinnen, Tara Brach (Autorin von Radical Compassion).
Das Akronym WENN (englisch RAIN) ist ein Tool um Achtsamkeit und (Selbst-)Mitgefühl bei schwierigen Emotionen und Gefühlen zu fördern und aus unbewusster Reaktivität ins bewusste Handeln zu gelangen. Insbesondere hilft diese Praxis bei:
Und so funktioniert`s:
Du kannst dir Zeit nehmen und WENN als eigenständige Meditation erkunden oder die Schritte durchgehen, wenn herausfordernde Gefühle auftauchen.
W – Wahrnehmen: Was passiert gerade?
Erkennen bedeutet, die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, die dich gerade beeinflussen, bewusst wahrzunehmen und zu erkennen. Du kannst innerlich leise benennen, was für dich im Moment am meisten präsent ist.
E – Erlauben: Erlaube der Erfahrung, so zu sein, wie sie ist
Zulassen bedeutet, dass du die Gedanken, Emotionen, Gefühle oder Empfindungen, die du wahrgenommen hast, einfach da sein lässt, ohne zu versuchen, etwas zu reparieren oder zu vermeiden. Du kannst Angst erkennen und zulassen, indem du dir innerlich sagst „es ist ok“ oder „das gehört dazu“ oder „ja“. Erlauben schafft einen Raum, der es möglich macht die Aufmerksamkeit zu vertiefen.
N – Nachspüren/ forschen: Erkunde liebevoll wo du was wahrnimmst
Hierfür bringst du deine natürliche Neugier ins Spiel – den Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, und richtest eine fokussierte Aufmerksamkeit auf deine gegenwärtige Erfahrung. Du kannst dich beispielsweise fragen: Was braucht am meisten Aufmerksamkeit? Wie erlebe ich das in meinem Körper? Was glaube ich? Was will dieser verletzliche Ort von mir? Was braucht er am meisten?
Was auch immer die Frage ist, deine Erkundung wird am transformativsten sein, wenn du dich von Konzepten und Narrativen löst und deine primäre Aufmerksamkeit auf die gefühlte Sinneserfahrung im Körper lenkst.
N – Nähren: Frage dich, was du gerade brauchst, was dich nährt, welche Geste oder Worte des Mitgefühls dir im Moment gut tun würden?
Selbstmitgefühl beginnt ganz natürlich in den Momenten zu entstehen, in denen du anerkennst, dass du leidest. Es kommt in Fülle, wenn du dein Innenleben absichtsvoll mit Selbstfürsorge pflegst. Versuche zu spüren, was der verwundete, verängstigte oder verletzte Teil in dir am meisten braucht, und biete dann eine Geste der aktiven Fürsorge an, die dieses Bedürfnis ansprechen könnte. Braucht es eine Botschaft der Beruhigung? Der Vergebung? Der Begleitung, Zuwendung oder Liebe? Experimentiere damit und stelle fest, welche intentionale Geste der Zuneigung dir am meisten hilft, dein Herz zu trösten, zu erweichen oder zu öffnen.
Vielleicht ist es das mentale Flüstern: Ich bin hier bei dir, ich verlasse dich nicht. Es tut mir leid, und ich liebe dich. Ich liebe dich, und ich höre zu. Es ist nicht deine Schuld. Vertraue auf deine Güte.
Zusätzlich zu einer geflüsterten Botschaft der Fürsorge, finden viele Menschen Heilung durch das sanfte Auflegen einer Hand auf das Herz oder die Wange; oder indem sie sich vorstellen in warmes, strahlendes Licht gebadet oder umarmt zu werden. Wenn es sich schwierig anfühlt, dir selbst Liebe entgegenzubringen, rufe dir ein liebevolles Wesen ins Gedächtnis – eine spirituelle Figur, ein Familienmitglied, Freund oder Haustier – und stelle dir vor, dass die Liebe und Weisheit dieses Wesens in dich hineinfließen.
Nach WENN:
Wenn du die aktiven Schritte von WENN abgeschlossen hast, ist es wichtig, die Qualität deiner eigenen Präsenz, deiner Aufmerksamkeit wahrzunehmen.
Das Ergebnis von WENN ist die Erkenntnis, dass du nicht mehr länger in einem begrenzenden Selbstbild gefangen oder mit einem begrenzenden Selbstverständnis identifiziert bist. Mache dir selbst das Geschenk, mit der Wahrheit und der natürlichen Freiheit deines Seins vertraut zu werden. Sie ist geheimnisvoll und kostbar!
Wir haben für dich hier die RAIN-Meditation aufgenommen, damit du dich ganz deiner inneren Erfahrung widmen kannst:
Anmerkung: Diese Übung beruht auf den Grundlagen von Tara Brachs Arbeiten und lässt sich im Original auf ihrer Website nachlesen.