Von Freiheit und Liebe.

 

“Tell me, what is it you plan to do with your one wild and precious life? “

 

Mit Neugierde, Angst und einer großen Portion Fernweh stehe ich vor dieser poetischen und doch sehr realen Frage aus Mary Olivers wunderschönem Gedicht Summerday. Eine Frage, die mich in meinem Leben immer wieder begleitet hat und mich gerade in letzter Zeit wieder intensiver beschäftigte.

Sie erinnert mich daran, dass mein Leben in erster Linie das ist, was ich daraus mache.

Sie impliziert Eigenverantwortlichkeit und trägt gleichzeitig ein Gefühl von Freiheit in sich.

Der Begriff Freiheit hatte schon immer eine enorme Anziehungskraft auf mich. Die Freiheit, meinen eigenen Weg zu gehen, zu bestimmen, wie ich leben möchte — frei von äußeren und inneren Zwängen.

Getrieben von einem Bedürfnis nach mehr Freiheit, Entdeckungsdrang und persönlicher sowie beruflicher Neuorientierung und Weiterentwicklung, beschloss ich vor einigen Monaten meinen Job zu kündigen und mein sicheres, aber gefühlt starres Leben gegen ein neues lebendiges Abenteuer auszutauschen. Ein Schritt ins Unbekannte, der mit einem One-Way Ticket nach Kalifornien begann, einem Ort, der für mich den Inbegriff von Freiheit verkörpert.

 

Mit einem höheren Grad an äußerer Freiheit steigt jedoch auch die Unsicherheit — und dieses unbefriedigte Sicherheitsbedürfnis kann schnell in Angstzuständen münden. Das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit auszuhalten, ohne dabei aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten, ist nicht einfach. In wieweit ist die Wahrnehmung von Freiheit von äußeren Umständen beeinflusst und welche Rolle spielt unsere innere Haltung dabei?

Einen Hinweis auf darauf geben die Schilderungen von Viktor Frankl, der in seiner Zeit im Konzentrationslager Ausschwitz erlebte, wie Menschen sich selbst unter unvorstellbar grausamen Bedingungen noch ihre innere Freiheit bewahren konnten:

 

Eine der letzten menschlichen Freiheiten ist, seine Einstellung unter welchen Umständen auch immer frei wählen zu können und einen eigenen Weg wählen zu können.

 

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

 

Während also das meiste, was passiert, außerhalb meiner Einflussmöglichkeiten liegt, bestimme ich durch die bewusste Entscheidung über meine Reaktion meine Realität und den Plan für mein einziges wildes und kostbares Leben.

Diese Sichtweise hat etwas immens Lebensbejahendes — sie befreit uns von der unmöglichen Aufgabe, unsere Umwelt kontrollieren zu wollen und zeigt uns stattdessen unseren inneren Freiheitsspielraum auf, der uns immer zur Verfügung steht — ungeachtet der äußeren Umstände. Haben wir dies verinnerlicht, können wir jedem neuen Moment unseres Lebens mit Neugierde statt mit Angst begegnen. Statt uns in Erinnerungen der Vergangenheit zu verlieren oder in die niemals endende Planung der Zukunft zu flüchten und unser eigenes mentales Gefängnis zu bauen, erlaubt uns diese Perspektive den aktuellen Moment zu erleben.

 

Das Erreichen von innerer Freiheit setzt Selbstreflexion und Achtsamkeit voraus — und stellt somit eine lebenslange Aufgabe dar: erst durch die Wahrnehmung unserer oft unbewussten Verhaltens- und Denkmuster können wir uns bewusst dazu entscheiden, welche Haltung oder Reaktion wir wählen möchten.

Soviel zur Theorie — die Umsetzung in die Tat ist dagegen um Einiges schwieriger.

 

Im letzten Monat hatte ich die unbezahlbare Gelegenheit, mich hiermit in aller Tiefe und Intensität zu beschäftigen. Ich durfte die letzten vier Wochen im Esalen Retreat Center verbringen, eingebettet in die magische kalifornische Landschaft des Big Sur National Parks, philosophisch geprägt von großen Namen wie Abraham Maslow, Fritz Perls oder Aldous Huxley. Im Rahmen eines Work-Study Programms, beschäftigte ich mich zusammen mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe intensiv mit der Förderung von Awareness, des Gewahrseins aller gegenwärtigen Gefühle, Empfindungen und Verhaltensweisen, und des Kontakts zu mir selbst und meiner Umwelt.

 

Dabei führte mich der Fluss des Lebens auf ungeahnte Pfade — ursprünglich gekommen auf der Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung, ist das, was für mich bleibt, die tragende Kraft von tiefer zwischenmenschlicher Verbindung, Liebe und Wertschätzung.

Freiheit ohne Liebe ist bedeutungslos.

Kommentar: Originalveröffentlichung in der Zeitschrift für Psychosynthese des nawo-Verlages.